Morgen, Ernst!
Nichts liegt mir ferner, als hier Materialfetischismus zu betreiben. Warum jemand wie Herr Butzer die Produkte des Weltmarktes durchtestet, mag unterschiedliche Gründe haben, Lust am Experimentieren, die Suche nach dem allerbesten Bleistift, theoretisch wäre es natürlich auch denkbar, daß so jemand schlicht nicht wirklich zeichnen kann und das dann eben durch Materialstudien ersetzt, um so doch irgendwie einen Beitrag zur Zeichnerei zu leisten und Anerkennung zu finden. Ich finde es jedenfalls sehr freundlich von ihm, daß er uns völlig kostenlos an seinen Tests teilhaben läßt, egal, was ihn nun dazu treibt.
Aber der Kern der Sache ist doch, daß es meines Erachtens nicht schaden kann, zu wissen, wie sich die Härtegrade eines Herstellers verhalten, wie die Bruchfestigkeit der Minen ist, ob sie kratzen usw. Mag ja sein, daß man zum Beispiel ungleichmäßig und brüchig fabrizierte Minen des 10-Cent-Bleistifts aus dem Restpostenladen als Könner ausgleichen kann oder so zeichnen, daß es keine Rolle spielt, weil der Bildinhalt das fünffach aufwiegt.
Nur kennen sollte man die Charakteristiken seines Bleistiftes, da eben nicht alle sich gleich verhalten und es ist schon irgendwie blöd, wenn einem die 2B von Staedtler ausgegangen ist und man kauft im nächstgelegenen Schreibwarenladen 2B von Faber-Castell und plötzlich stellt man zuhause fest, daß der Stift nach Staedtlers Graden ja bloß irgendwo so bei knapp B liegt.
Man kann natürlich immer die selbe Marke kaufen und das Problem ist erledigt, aber das von der Kollegin geschilderte Koh-I-Noor ist bei mir weit und breit nicht erhältlich, hätte ich mir das als Sortiment online bestellt und bräuchte jetzt spontan einen Ersatz für diesen oder jenen Härtegrad, sei es, weil ich ihn verzeichnet habe oder weil ich ihn irgendwo verloren habe, müßte ich erst mal überlegen, was ich nun nehme.
Wenn wir bei China sind, sind diese Bleistifte für ein paar Cent die reinste Wundertüte, was Gradation und Bruchfestigkeit sowie Holzqualität angeht und der Strich meist sehr drucksensibel. Mal kratzen sie fürchterlich, dann sind sie wieder schön usw. Kann man natürlich auch mit zeichnen, muß man sich aber drauf einstellen, wobei es wohl individuell verschiedene Grenzen gibt, was man sich zumuten will oder sollte. Bis jetzt zeichne ich bloß, aber bei kritischeren Angelegenheiten, wäre mir endgültig die Zeit zu schade, mit irgendwelchen minderwertigen Produkten, die Zerstörung des mühsam gemalten Bildes zu riskieren. Weiß man denn, ob irgendwelche von windigen Geschäftemachern zusammengerührte Billigfarben nicht auf Dauer das Papier angreifen?
Ansonsten komme ich ja von der Photographie, wo es diesen Glaubenskrieg in vermutlich weit schärferer Form auch gibt: Kenne da Leute, die nichts können und dafür aber mit Leica oder Hasselblad angeben wollen, aber auch die tolle Story, wo ein Kollege, der meinte, es komme überhaupt nicht auf das Material an, mal mit Kiev 88 (sowjetische Mittelformatkamera) und über Ebay erstandenem chinesischem Schwarzweißfilm zum Leidwesen des Ehepaars gepflegt die Hochzeitsbilder vergeigt hat. Seitdem hat der Mann, der wirklich beeindruckende Bilder macht, auch etwas umgedacht, obschon ihm auch mit diesem Equipment beeindruckende Aufnahmen gelungen sind.
Hochachtung vor jedem, der es schafft, mit dem schlechtesten Material hervorragende Bilder zu zeichnen/malen, aber ich muß jetzt auch nicht unbedingt unter materialen Bedingungen zeichen/malen, wie der chinesische Bauer im Malzirkel der Volkskommune während der Kulturrevolution, nur um zu zeigen, daß es mit viel Leidenschaft und Frustrationstoleranz auch geht.