Sellbstkontrolle von Bildern

Inge

SUPERVISOR
Sicher ist es jeden von uns schon einmal so gegangen: Man hat sich äußerste Mühe gegeben, das Werk ist technisch einwandfrei - und trotzdem irgendwie unbefriedigend.

Auf Anregung hin kopiere ich aus dem Tiger-Thread mal eine Aufzählung/Checkliste von Dingen, die sich bei der bildenden Kunst in der Bildgestaltung/Bildkomposition bewährt haben.
 

Inge

SUPERVISOR
UFF! :00000108:
Kein Anspruch auf Richtigkeit und Vollständigkeit - wie bei den Lottozahlen :00000295:

Es ist nur so, dass es sich anscheinend im Laufe der Jahrhunderte herausgestellt hat, was Leute angenehm/interessant/harmonisch empfinden.
Meine Maltrainerin, die ja Bilder verkaufen, ihre Kompetenz auf den Boesner-, Wildkogel- und sonstigen Akademieseiten attraktiv darstellen will, nutzt das halt bestmöglich....und ich hänge mich dran, weil ich schamlos die Vorteile ausnutze (ausnutzen muss? :00000285: )
Regeln sind zum Brechen da.

Also los:

- Hauptfokus nicht in der Bildmitte
Symmetrie ist gut bei Zen- oder Kraftbildern, wirkt auf den modernen Betrachter aber eher langweilig. Auto? Handy? Fernseher? Kaffeetasse? Alles heutzutage meist symmetrisch. Verkaufsschlager sind eiernde Kaffeetassen, Handys mit unregelmäßiger Airbrush-Oberfläche.
Daher: Hauptobjekt (großes, hohes Gebäude; große Dunkelheit in heller Umgebung....) nicht in die Mitte, ebensowenig wie Horizont, Sonne, Mond...

- Hauptfokus idealerweise auf dem Goldenen Schnitt?
Man hat herausgefunden, dass diese Punkte vom Auge gerne besucht werden. Daher das Bild längs und in der Höhe in drei gleiche Teile teilen und dort, wo sich diese Linien treffen, die "Action" hinsetzen. Das können Tigeraugen sein, das kann aber auch das hervorstechendste Haus des Dorfes oder die dramatischste Welle der Brandung sein.


- Hervorstechende Farben einmal, dreimal oder vielmals verwendet?
Kennst du die Regel der Floristen, ungerade Zahlen bei den Hauptblüten des Straußes zu nehmen? Das hat seinen Wirkungs-Grund und ist bei Gemälden nicht anders. Einmal Orangegelb lenkt den Blick hin, dreimal Orangegelb wirkt interessant, zweimal Orangegelb irritiert. Bei vielmal Orangegelb wird damit nicht mehr ein so intensiver Fokus erzielt, die Farbe "ist halt auch da".

- Keine dominanten Linien/Parallelen zum Rand
Was viele nicht beachten: Der Bildrand ist Bestandteil des Gemäldes. Malt man dazu eine hervorstechende parallele Linie, hat man "praktisch zwei Linien", wie bei einer Leiter oder so. Der Betrachter sieht ja beide. Da solche im heutigen Leben furchtbar häufig existieren (vom Haus über den Gartenzaun bis zur Fahrbahn) schaut ein Betrachter schneller wieder weg, weil das Gehirn das Bekannte schnell als unwichtig abhakt. Wer schaut sich schon eine (parallele) Häuserfassade mit (parallelen) Fenstern lange an? interessant sind krumme Hütten, durchhängende Dächer, verschnörkelte Fronten.

- Keine dominanten Linien auf die Bildecken zu?
Es gilt analog oben Genanntes: Ecken sind Bestandteil des Bildes, die dorthin führenden Winkel auch.

- Kleine zu große Objektfläche verhält sich größenmäßig wie große zu Leinwand
Was auch immer wieder ignoriert wird: Die Regel des Goldenen Schnitts, also die angenehm empfundene 1/3 zu 2/3-Regel, gilt auch für Flächen innerhalb des Bildes. Am Beispiel meines Tigers: Er macht (aufgekippt, zusammengefaltet :00000295:) ungefähr 1/3 des Gesamtbildes aus, die helle vordere Fläche wird (hoffentlich) ca. 1/3 des Tigers ausmachen usw. Es geht nicht um einige Quadratzentimeter, es geht um Relation.

- Vorne konkret/warm, hinten vage/kalt?
Ich möchte Tiefe erzeugen. Das geht mit der hier schon so oft besprochenen Luftperspektive (hinten diffus, bläulich/vorne konkret/warme Farben) sowie mit der nah=heller entfernt=dunkler -Regel, die ja auch die Zeichner recht stark nutzen

- Betrachter rechts einsteigen lassen
Es hat sich gezeigt, dass die Mehrheit der Betrachter "ein Bild von Rechts betritt", d. h. es gerne hat, wenn das Bild nach dieser Seite nicht durch ein Objekt, einen Zaun, ein Gebüsch etc. "abgeschottet" ist. Funktioniert das aus irgend einem Grund nicht, sollte zumindest über "oben-rechts" eingestiegen werden können. Das geht mittels hellerer Farbe dort als links.
Linkshänder (oder umtrainierte Rechtshänder) bevorzugen übrigens meist Bilder, die man von jener Seite erschließen kann. Bei dem Beispiel unten wurde diese Regel bewusst beachtet: Der Betracher "steigt ein" - und ist mit dem Tigerkopf konfrontiert. Oben rechts wurde zum Ausgleich hell belassen.

- Linien hin zum Hauptfokus
Nachdem du den Betrachter nun auf die ein oder andere Weise "ins Bild gelassen" hast, kannst du seinen Blick auch lenken. Das tust du mittels Linienführung in Richtung Fokus. Beim Tiger wird das nicht einfach. Ich habe links oben die Graslinie zum Tigerkopf abfallen lassen, den Hinterlauf als Quasi-Pfeil zum Kopf hin gerichtet, die Streifen am Leib kurven sich dorthin, die Krallenfalten ebenso. Die Oberflächenlinie links neben Pussycat geht zwar in Rg. Tiger, sie muss ich aber brechen weil siehe Regel Linien zum Rand.

- (unregelmäßige) Dreiecke wirken dynamisch, Kreise und Quadrate wirken beruhigend (aber auch schnell langweilig, s. Symmetrie oben). Das hatte ich mal auf der Basis meines Stier-Bildes erklärt, das enthält unheimlich viele Dreiecke und dadurch wird das Bild stark bewegt, was der Hintergedanke war. Müsste in der Galerie sein.

- ein "in sich rundes" Bild sollte Ruhe und Bewegung, Fläche und Strich enthalten. Nur Fläche ist oft langweilig, nur Strich wirkt oft auf den Betrachter so, dass er "den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht", sprich, das Gesamtwerk vor lauter Details nicht wahrnehmen kann.

So, jetzt aber gleich ***Klugscheißmodus aus****:00000257:
 

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