Die Horizontlinie

Ernesto

Senior Mitglied
Hallo zusammen.

Im Zusammenhang mit der Perspektive taucht immer als erstes der Begriff "Horizontlinie" auf. Da herrscht aber viel Unwissenheit.
Sie ist sehr wichtig, weil auf ihr alle Fluchtpunkte (von waagrechten) Kanten liegen. An ihr orientiert sich das ganze Bild.

Es heißt: Horizontlinie = Augenhöhe. Aber oft ist sie bei Bildern weiter oben oder weiter unten, manchmal sogar außerhalb des Bildes.
Zu allem Überfluss sieht man die Horizontlinie in der Regel gar nicht, man braucht sie aber trotzdem.

Eigentlich ist die Sache aber ganz einfach. Ich versuche mal ein wenig Licht in dieses Wirrwarr zu bringen.

Als erstes die Aussage Horizont = Augenhöhe:
Kann man den Horizont sehen? ja, am offenen Meer. Wenn man waagrecht auf den Horizont schaut, sind Horizont und Auge auf der selben Höhe. Dass der Betrachter eigentlich etwas höher steht, kann man getrost vernachlässigen. Will man diese Szene malen wäre der Horizont genau in der Mitte. s. Bild-1.

Bild-2:
jetzt richten wir den Blick leicht nach oben. Was geschieht mit der Horizontlinie? gar nichts! Sie bleibt da, wo sie immer war, nämlich auf Augenhöhe. Aber der Bildausschnitt "wandert" sozusagen mit nach oben.
Der Horizont erscheint nun logischerweise im unteren Teil des Bildes.

Bild-3:
jetzt der Blick nach unten, wieder wandert das Bild mit und weil sich der Horizont nie ändert, erscheint er auf dem Bild oberhalb.

Bild4:
wir senken den Blick noch weiter nach unten, jetzt sehen wir den Horizont nicht mehr, er ist außerhalb des Bildes. Aber wo ist er nun genau? Ihr kennt die Lösung schon: da wo er immer war, nämlich auf Augenhöhe.

Auf den meisten Bildern ist keinerlei Horizontlinie zu sehen. Für das perspektivische Zeichnen ist sie aber unbedingt notwendig. Wie findet man sie nun? ganz einfach: ein waagrechter Blick genügt und man hat sie gefunden.

Dieser Beitrag soll keine Expertendiskussion auslösen, er ist eher für diejenigen gedacht, die den Einstieg in das perspektivische Zeichnen finden wollen. Gerne beantworte ich weitere Fragen.

LG Ernesto
 

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Motte

Forum-Guru
Eine starke Darstellung, das kann ich sehr gut verstehen. Und auch interessant wie durch die eigenen Blicke praktisch sich der Bootssteg verändert, beim nach unten Schauen wird er größer, eben näher am Auge. Klasse, lieben Dank dafür, für mich, die genau wegen Perspektiven keine Landschaften malt, denn das genaue Wissen darüber ist wichtig. So weiß man auch mit Blick auf die Horizontlinie, mit welchem Blick aufs Geschehen der Maler gemalt hat, habe ich nicht gewusst.
 

Ernesto

Senior Mitglied
So weiß man auch mit Blick auf die Horizontlinie, mit welchem Blick aufs Geschehen der Maler gemalt hat, habe ich nicht gewusst.
ja Brigitte. Das gilt aber nicht nur für Landschaften, sondern für jedes Bild. Besonders wichtig ist die Horizontlinie natürlich für Gebäude o.ä. aber auch für Stillleben z.B. Vasen, Teller usw.

danke Saskya, es freut mich, wenn du etwas damit anfangen kannst.

LG Ernesto
 

bruno

Senior Mitglied
Wer in der freien Natur steht und die Augenlinie/Horizontlinie nicht sieht (zB im Wald, im Gebirge oder in einer bebauten Innenstadt), kann einen einfachen Trick anwenden um sie zu ermitteln: Einfach ein halbvolles Glas Wasser (es geht auch eine halbvolle durchsichtige Getränkeflasche...) vor sich halten. Die Wasseroberfläche im Glas bzw. in der Flasche ist ja automatisch immer absolut flach (=parallel zur Erdoberfläche), die Flüssigkeit ist also im Prinzip eine Art Wasserwaage.

Das Glas so halten, dass die Wasseroberfläche wie ein einziger Strich aussieht, also so dass man sie weder von oben noch von unten sieht. So kann man in Sekundenschnelle ohne großen Aufwand jederzeit und überall ganz einfach die Horizontlinie ermitteln.

Hat man ein Foto als Vorlage, kann man sich dementsprechend an Objekten (zB Gebäuden) orientieren, von denen man weiss dass sie waagerechte Kanten enthalten. Wenn man (genauso wie beim Wasserglas) sie als waagerechten Strich sieht, ist dort die Horizontlinie. Dasselbe Prinzip also.
 

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Inge

SUPERVISOR
Super, dass ihr darauf eingeht. Die Horizontlinie und ihre absolut tragende Rolle für perspektivisches Zeichnen und Malen kann man gar nicht genug behandeln.
Zwei Dinge sind mir noch eingefallen für die Praxis:
- Es ist immer günstig, die HORIZONTLINIE aus der Mitte weg nach oben oder unten auf dem Bildausschnitt zu verschieben, am allerbesten (z. B. bei Wasserflächen oder anderen großen hell/dunkel- oder Farbunterschieden) eignet sich der Goldene Schnitt.
- Es ist immer für Ausstellungen, aber auch für daheim natürlich, günstig, die Bilder so hoch zu hängen, dass die Horizontlinie in etwa die Augenhöhe eines pot. Betrachters hat. Denn damit versetzt man ihn automatisch in die Perspektive, die auch der Maler gehabt hat.
 

Ernesto

Senior Mitglied
Das Glas so halten, dass die Wasseroberfläche wie ein einziger Strich aussieht, also so dass man sie weder von oben noch von unten sieht. So kann man in Sekundenschnelle ohne großen Aufwand jederzeit und überall ganz einfach die Horizontlinie ermitteln.
ja, das ist eine gute und einfache Methode. Das das wirklich funktioniert kann man im gut Urlaub feststellen. Bei einem Glas Wein und Meerblick stellt man fest, dass der "Miniozean" und der große genau übereinstimmen. Wenn du aber ständig das Glas hochhältst, kann es passieren, dass deine Tischnachbarn dasselbe tun und "Prosit" rufen. :)

- Es ist immer für Ausstellungen, aber auch für daheim natürlich, günstig, die Bilder so hoch zu hängen, dass die Horizontlinie in etwa die Augenhöhe eines pot. Betrachters hat. Denn damit versetzt man ihn automatisch in die Perspektive, die auch der Maler gehabt hat.
ja, das geht aber nur, wenn es sich um weitgehend waagrechte Blickrichtungen handelt, bei Stillleben mit mehr oder weniger starker Vogelperspektive müsste diese sehr tief hängen.

LG Ernesto
 

Inge

SUPERVISOR
ja, das geht aber nur, wenn es sich um weitgehend waagrechte Blickrichtungen handelt, bei Stillleben mit mehr oder weniger starker Vogelperspektive müsste diese sehr tief hängen.
LG Ernesto

Klar. Es geht nur um die günstigste Präsentation z. B. einer Landschaft, die ja meistens entweder an der oberen oder unteren Drittelteilung irgendwo den Horizont haben. Auch viele Stillleben sind ja Seitenansichten mit eingebauter Horizontlinie.
Ich würde natürlich auch nicht ein Bild aus Froschperspektive, das einen Funkturm von unten zeigt, an die Decke des Ausstellungsortes nageln wollen....;)
Übrigens hübsche Kontroll-Knobelfrage dazu : Wenn, wie ausführlich besprochen, Linien zum Horizont hin flüchten, aber der Turm ja von unten nach oben betrachtet wird, wo liegt da der Horizont mit unseren Fluchtpunkten? Hmmmmmm?
Wer hat's verstanden? :cool::p
 

red

Senior Mitglied
Hallo Ernesto,
bist ein guter Erklärer. Durch dich frisch ich immer mal wieder meine Perspektivkenntnisse auf.
 

Ernesto

Senior Mitglied
Ja Brigitte, mit einem Glas Wein und Meerblick macht Perspektive richtig Spaß. Weitere Vesuche sind bereits geplant.
Und nach dem 10 Glas ist es es dir sowieso sch.... egal, wo sich die Horizontlinie befindet.:rolleyes:

LG Ernesto
 

Frühling

Senior Mitglied
Moin und FROHE OSTERN,
ich habe in meinem Kugelschreiber eine kleine Wasserwaage. Da zeigt die Spitze des Kugelschreibers exakt auf die Horizontlinie. Den habe ich immer dabei, ein Glas roten Burgunder aber selten und im Bier ist Schaum drauf und das Flaschenglas ist zu dunkel.
Aber trotzdem eine tolle Erklärung mit dem Wasserglas von Bruno.
Herzliche Grüße
Jan der Frühling
 

Ernesto

Senior Mitglied
Hallo Jan,
der Begriff "Wasserwaage" ist sehr treffend, das Glas Burgunder ist ja im Prinzip auch nichts anderes.
Die Wasserwaage zeigt wie alle waagrechten Kanten und Flächen (z.B. vom Möbeln) zum Horizont.
Wenn du die Horizontlinie aber "sehen" willst, musst du den Kugelschreiber genau auf Augenhöhe halten und gleichzeitig die Wasserwaage kontrollieren, das könnte schwierig werden.
So gesehen finde ich "Weinwaage" fast besser. :)

LG Ernesto
 

red

Senior Mitglied
Hallo Ernesto,
wie willst du mit einer Weinwaage einen geraden Horizont hinkriegen? Als ich das letztlich mal ausprobiert habe, hatte 3 bis 4 Weinwaagen, schwankte mein Horizont gewaltig und hab alles doppelt gesehen..:womenholdinghands:
 

Ernesto

Senior Mitglied
Ja Rainer, da hast du natürlich recht.
Man müsste den Wein halt nur anschauen und nicht trinken. :eek:
Aber das ist (zumindest für mich) keine praktikable Lösung.
LG Ernesto
 

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